Gerne möchte ich mich nochmals bei meinem ehemaligen Kompositionsprofessor
Markus Hechtle
dafür bedanken, dass er sich so kurzfristig dazu bereit erklärt hatte, mich zu vertreten
und die von mir verfasste Rede vorzutragen.
Hier ist sie zum Nachlesen, zusammen mit den am Abend vorgetragenen Gedichten:
Mein Name ist El Lukijanov.
Ich war von 2016 bis 2022 Schüler von Wolfgang Rihm und wurde gebeten, die Rede stellvertretend für die Kompositionsklasse zu halten.
Es fällt mir schwer, seinen Tod zu akzeptieren. Er fehlt.
In meinem zweiten Bachelor-Semester schon war sein Fehlen und die Sorge über ihn überall präsent. Manches ahnten wir schon, wir befürchteten es, und dennoch hofften wir, es würde anders sein.
Ich erinnere mich an viele Momente, die für mich persönlich sehr bedeutsam waren, gleichzeitig kann eine Stimme unmöglich die Vielzahl seiner Schüler*innen repräsentieren. Ich schrieb ihm Briefe, ich glaube das taten viele von uns. Ich schrieb Stücke an ihn und über ihn, auch das taten viele. Er kommt in meiner Kammeroper vor als Vaterfigur - auch diese Rolle scheint sich durch einige unserer Biografien zu ziehen.
Er war Projektionsfläche für uns, die uns zum Wachsen verhalf. Diese Aufgabe gelang ihm mit so viel Leichtigkeit. Wenn ich in Stücken feststeckte und nicht weiterkam, und mit ihm über meine Anliegen sprach, wirkte es hinterher nicht nur machbar:
Es gelang ihm immer, mich an den Ort zurückzubringen, wo ich Genuss und meine kindliche Neugierde spüren konnte, selbst nicht zu wissen, wie das Stück weitergeht.
Als ich ihm davon einmal erzählte, sagte er mir, dass er genau das selbst beim Komponieren spürte, und deshalb so gerne diese Prozesse begleitete.
Es ist unmöglich, als eine einzige Person diese diverse Gruppe an Komponist*innen zu repräsentieren, die er inspiriert, provoziert, unterstützt, belehrt hatte und von denen er sich auch interessiert und teilnahmsvoll belehren ließ.
Was ihn als Lehrer auszeichnete, war sein Blick auf uns, seine Schüler*innen. Im besten Sinne hatten unsere Stücke, unsere Gedanken und Ideen eine höhere Priorität für ihn als unsere Herkunft, unser Status oder unser Geschlecht.
Dieser Beruf, Komponist*in zu sein, ist alles andere als leicht in einer Welt aus Kürzungen, struktureller Diskriminierung und gesellschaftlicher Lebensrealitäten.
Es gibt berühmte Namen unter Wolfgang Rihms Studierenden. Es gibt aber ebenso Personen, die nicht auf diesen Listen stehen. Im Rahmen dieser sozialen und strukturellen Ungerechtigkeiten hat er dennoch stets versucht, lebbare Wirklichkeiten für seine Studierenden zu schaffen. Das Wolfgang-Rihm-Stipendium der Höpfner-Stiftung war eines davon.
Gerne möchte ich mit einer Anekdote und danach mit vier Gedichten meine Rede abschließen.
***
Wolfgang Rihm, Markus Hechtle und ich hielten im Februar 2020 ein Seminar für die Kulturakademie ab:
Das Thema war Tonalität und ein Kind im Seminar sprach über die Tonarten und Skalen, in denen es noch komponieren wollte..
Und Wolfgang fragte nach Cef -Moll. Ob diese Tonart wenigstens auch auf der Liste stünde. Dieser rhetorische Kniff war so einfach und mühelos — einem Kind zu verdeutlichen, dass diese Regeln menschengemacht sind und somit so sehr gebogen und verzerrt werden dürfen, wie es der schaffenden Person beliebt.
***
Hier ist eine Auswahl an Gedichten, die ich Wolfgang im Laufe der Zeit widmete:
We.
Ich wusste nicht, dass ich doch gar nicht gehen wollte. Was zu fragen
Ungefragt zu wissen
Da wollte es aus einer Windung
Auf Papier, in Nägel, über Bleche Schepperned
Schwebteilchen in Stimmung Wagt zu fragen, wiegen
Pocht und noch pausiert
Ein Puls, wie agitiert, schluckt auf, Streicht ab. Da.
Da fragt das Fromme nach der Wendung
***
We. Er.
Formte mich
Und warst du nicht
Und formst
Was würde Wolfgang sagen Gleich einer Höhlnis Verfenstert sichit
Verhängnis vor
Den trüben Traubent
Würde vor allem Noten-Esspapier
Unsere Jesus-Nachos.
***
Wo treffen wir uns
Wenn dieses Seil aus Worten Taten und Gehörtem
All meine Michs
Nicht mehr zusammentreiben kann
Zellen keinen Organismus
Als Idee
Keine Zuhäuser
Eines Blutes sich uns finden.
Ist die Verabredung
Am Infopoint
Trotzdem doch noch der Brunnen
Und unser Trinken
Bitte niemals ohne Diskussion.
***
Nichts steckt in dieser Erde
Es haucht durch Wind
Dort tanzt marschiert
Noch schunkelt sich uns nichts.
Dort greifen wir in Dünste
Streicheln an unseren Fantasien als
Wären’s
Wattige Erinnerungen
Rorschach-Wolken
Abdruck eines fremden damaligen Selbst
Die Farbe nur Erkenntnis
Weil sie einmal korrekt verinnert war.
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