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El Lukijanov • Jul 28, 2024

Gestern ist mein Professor gestorben

zitierter Text:

Ich fühle mich schuldig, dass ich mich seit einem Jahr bei ihm nicht melden konnte. Es fällt mir schwer diese Gleichzeitigkeit auszuhalten, die Wut über mich, während ich selbst die Gründe dafür kenne:


Die Transition und damit erlebte Diskriminierung ließ mich nur schwerlich selbst überleben, und auch das fällt mir schwer zu akzeptieren, rückblickend wertschätzend auf meinen Überlebenskampf zu blicken. Ich steckte in der Reproduktion sozialer Erwartung, bei all dem Runterschlucken meiner Wut, Angst und Frustration über die verbalen und körperlichen Anfeindungen, diese Zeit würdevoll und elegant zu überstehen, persönliche Beziehungen damit nicht zu belasten und eine nahtlose Transition zu performen. 

Ich wollte der Komponist sein, der nicht aufhört zu arbeiten, der nicht zerbricht und weiter komponiert, unbeeindruckt von der eigenen trans Identität.

Ich hätte Wolfgang eine Entschuldigung für meine Abwesenheit schreiben können, und gleichzeitig wäre es sinnlos gewesen. Ich weiß nicht, was ich hätte verständlich machen können, schließlich ging meine internalisierte Transfeindlichkeit so weit, dass ich nicht einmal in der Lage gewesen wäre, mir meinen Überlebenskampf als gerechtfertigt zuzugestehen. Ich hatte keinen Raum für seine Situation, und jetzt ist es zu spät, und das tut mir sehr leid. Als Absolvent war ich verunsichert wie ein flügge gewordenes Kind, dem die Federn versengt wurden, in der Scham mich so nicht blicken lassen zu können.

Er hat seit unserer ersten Begegnung, unvoreingenommen meine Stücke und Skizzen betrachtet, seine Haltung dazu präzise eingenommen, egal an welcher Stelle ich im Leben parallel gekämpft habe. Während ich dafür dankbar bin: genau diese Eigenschaft machte es für mich undenkbar mich ihm zu dem Zeitpunkt zu vermitteln - und gleichzeitig hätte ich den Raum für seine Situation nicht gehabt.


Den alltäglichen Hass, der mir begegnete und die Angst in die es mich versetzte, habe ich versucht wie kleine, lästige Trauermücken mit einem sanften Luftstoß abzuwehren, am liebsten auch noch unmerklich für andere. Ich ließ sie so ungehindert in meinen Untergrund, bis sie sich in meine Wurzeln fraßen und ich versuchte trotz Suizidalität und schwerer Depression weiter zu arbeiten und hoffte, ich könnte es irgendwie nach Außenhin schadlos überstehen. Ich hoffte inständig, genügend Glück zu haben, dass mein Zerbrechen an der Situation nicht als künstlerisches Scheitern verstanden werden würde.

Nur aus vertrauensvollen Erzählungen weiß ich, wie es ihm das letzte Jahr ging, und ich bereue es, ihn nicht selbst gefragt zu haben. Ich betrauere den Verlust eines Menschen, der in meiner Kammeroper als Vaterfigur verarbeitet wurde und der mir Kraft gab. Trotz meiner prekären Situation trieb er mich an größere Bögen zu spannen, als würde mir jedes Mal ein Ende eines neuen Regenbogens zum Ziel wachsen.


Ich stolpere  noch immer durch meine Gedanken und Emotionen, und es fehlt mir an Bündelung, um zu beschreiben, wie  es für mich mit ihm war, ohne abgrenzen zu müssen, wie es nicht gemeint ist.


Ich war wie ein Kind eines Kindes seiner Gedanken vielleicht, und innerlich rebellierte ich. Es ging um ein Wachstum, das mir nicht beibrachte, wie ich kompositorisch Schnürsenkel binde, auch nicht, wie ich mich zu anderen etablierten Erwachsenen verhalten müsste. All das war für ihn uninteressant. Eher nahm er mich an die Hand und befragte mich, und dann betrachtete er meine Antwort, nahm sie an die Hand, wandte sich zurück an mich, um mir ehrlich und taktvoll mitzuteilen, wohin es weiter gehen könnte. Er schickte mich einmal zu Roses von Cy Twombly und ich starrte auf die riesigen Gemälde und brach in Tränen aus, weil mich die Wucht ihrer Leidenschaft erschlug. Ich konnte ihm erst nach einem Jahr erzählen wie es war und er packte mich an dieser Erfahrung und sagte, dass darin etwas wichtiges für meine Arbeit liegt und nur ich dazu die Antworten finden werde. Das klingt zu magisch, zu hellseherisch und zu unpräzise um mich davon führen zu lassen, doch gerade deshalb spornte es mich an, nach dieser leidenschaftlichen Zelle in mir alleine zu suchen.


Meine Lebensrealität veranlasste mich oft dazu, mir zuallererst einen Raum freizukämpfen, in dem die in mir entstehende Musik überhaupt für mich hörbar werden konnte. Dort kam ich oft erschöpft, abgekämpft an, und auch wenn ihm meine Umstände oft nicht bekannt waren, schien er diesen Kampf anzuerkennen. Die Roses hingen dort, und ich sah sie, aber ich reiste dorthin mit meinem letzten Geld und danach kämpfte ich für eine Perspektive, weiter zu studieren.


Er ignorierte mich nie in meinem Zustand, eher schenkte mir seine Leichtigkeit und Freude, sein Genuss, mit dem er sich mit mir über Musik unterhielt, meine Erinnerung zurück. Nach jedem Gespräch mit ihm wusste ich wieder, wofür und wohin.


Seit meinem Unfall im März 2024 hatte ich zunächst keinen Ton komponiert, vor ein paar Tagen begann ich wieder damit.


Ich denke oft darüber nach, inwieweit es nur mein Glücksfall war, unbestechlich wie er war, dass er meine Ideen und Gedanken für unterhaltsam genug hielt, um sich mit meiner Entwicklung beschäftigen zu wollen. Einmal, als er meine Unsicherheit bezüglich meiner Vita wahrnahm, sagte er zu mir, dass es doch das beste sei, eine ungewöhnliche Biografie mitzubringen, und alles andere doch langweilen würde. Ich bin mir sicher, diese Aussage hätten andere improvisiert, um ihre Vorurteile über Menschen wie mich weiterhin im Stillen zu reproduzieren, oder andere hätten das aus unprofessioneller Sensationsgier zu mir gesagt, als wäre ich ein spannender Unfall. Aber bei Wolfgang glaube ich an seine Aufrichtigkeit.


Am Ende meines Studiums sehe ich ein Scheitern an meiner Idee und an der sozialen Notwendigkeit, mich an neoliberalen Aufstiegsnarrativen abarbeiten zu müssen, damit “jemand wie ich” “es” auch mal schafft. Diese Enttäuschung wollte ich für ihn nicht sein, nicht etwa weil ihn diese Oberflächlichkeiten interessiert hätten, sondern die Bedeutung, die dieses Scheitern für mein Schaffen und meine anderweitige Lebensrealität einnimmt. Als könnten meine Umstände sein reines Interesse an meiner Musik verwässern.


Schon im Studium erreichte ich alle Ziele nur abgekämpft und in der Hoffnung, es würde sich ein Raum ergeben, der für mich sicher genug sein könnte, ich zu sein, und das nicht nur mit meinen Stücken, ein Komponist, der alles andere über sich verstecken muss. Leider ist die Welt nicht Wolfgang Rihm. Leider sind Kompositionen mehr als nur das, weil sie so viele für (privilegiertere Menschen unsichtbare) Ressourcen beanspruchen: sie brauchen zu viel von dem, was ich an Voraussetzungen nicht mitbringe. Und trotzdem: seine Erwartung an mich - zu komponieren -, repräsentiert für mich nicht die Perspektive eines privilegierten weißen Mannes, der etwa durch fehlende Sensibilisierung etwas angerichtet hätte, das unterm Strich für mich nicht richtig gewesen wäre. Vielmehr erkannte er mich in meiner Hingabe fürs Komponieren und meinen Trotz, für diese Zeit alle anderen Faktoren auszublenden, mein gleichzeitiges Desinteresse an allem anderen. Und seine für ihn ihm gewidmeten, offen stehenden Türen waren so oft auch für mich die Einladung für Andere, meiner Arbeit ebenso offen zu begegnen wie er es konnte. Wenn auch nur für den Moment des Arbeitens, so konnte ich meine prekäre Situation eine Zeitlang ausblenden und einfach nur Komponist sein. Ich versuchte meine Idee zu bereinigen, das Stück aus den Krisen heraus zu schälen und meine Obsession in Hingabe zu verwandeln, und das für jede Komposition aufs Neue.


Abseits von all meinen notwendigen Ablenkungen und Windungen, verstehe ich mittlerweile mein Bedürfnis: er lehrte mich den Blick scharf zu halten, um meine und die Ästhetik Anderer zu erforschen, sie zu erkennen und zu schätzen.

Überall, wo ich Begegnungen schaffe, steckt ein Potenzial. Mein Interesse für die Wahrnehmung des Gegenübers lässt sich in ein einmaliges Thema, eine einmalige Form, in einmalige Ideen, Gedanken und Emotionen übersetzen.

 
Wenn er jetzt nur da wäre, um das zu lesen und mich dafür zu kritisieren.

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Wolfgang Rihm und El Lukijanov, Foto: Markus Hechtle, 2020

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