El Lukijanov, 20. Nov. 2024
Wo immer ich auch vorkomme, lebe ich mittlerweile überall offen trans. Und das tue ich mit vielen Konsequenzen.
Heute ist ein Trauertag für uns. Wir gedenken der getöteten trans Personen. Wir, die wir heute trauern, leben. Vielleicht haben wir gerade so, knapp, überlebt. Vielleicht stehen noch schwere Situationen vor uns, die wir noch irgendwie überleben wollen. Heute werde ich Suizidalität thematisieren, als Folge von transfeindlicher Gewalt. Bitte achtet auf euch, kontaktiert mich, wenn Ihr ein Gespräch wünscht, auch könnt ihr beim Netzwerk LSBTTIQA* eine Onlineberatung erhalten. Den Link dazu gibt es hier (https://www.beratung-lsbttiq.net/beratung-online).
Wir haben gelernt, dass körperliche Gewalt falsch ist, an allen Lebewesen. Viele von uns haben sie dennoch erlebt oder versucht sie irgendwie zu überleben.
Wir haben gelernt, dass Menschen Menschenrechte und eine Würde haben und nicht leiden dürfen. Der Anspruch auf unsere Rechte wird öffentlich diskutiert, dämonisiert, als Identitätspolitik abgetan oder mit Begriffen wie Political Correctness ins Lächerliche gezogen.
Wir erleben institutionelle Gewalt, die sich nur zu oft in uns festsetzt und uns erzählt, wir seien selber schuld an ihr.
Wir werden mit Anträgen, Ablehnungen, finanziellen Forderungen überhäuft für Dinge, die cis Personen nicht über sich ergehen lassen müssen.
Wenn einige von uns daran zerbrechen, spricht die cis Gesellschaft davon, dass trans Personen leider oft auch psychisch krank seien, oder dass die Wahrscheinlichkeit für uns, an einem Suizid zu sterben höher sei. Selten wird eingeordnet, dass die Ursache eine feindselige Umgebung ist, und zwar von unserer Geburt an.
An Tagen wie heute möchte ich keiner cis Person mehr irgendwas erklären müssen. Ich möchte in Ruhe mit Euch betrauern dürfen, wen wir verloren haben. Ich möchte betrauern, wen ich fast verloren hätte - dass ich immer wieder sehr nahe dran war mich selbst zu verlieren. Als in meiner Kindheit und Jugend nur wenige von meinem Transsein geahnt hatten, wäre ich mehrfach an den Folgen queer- und transfeindlicher Gewalt fast gestorben. Niemand hätte mich als Teenager aus der trans Community betrauert. Ich wäre in keiner Statistik aufgetaucht. Dass ich überlebt hatte, verdanke ich wenigen Menschen. Einige von euch stehen heute mit mir und haben mit mir überlebt.
Ich verdanke das Organisationen und Aktivist*innen, die weiter für unsere Rechte kämpfen, trans Politiker*innen, die lange genug durchhielten, um das Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg zu bringen.
Ich verdanke das den cis Allies, die mich trotz ihres fehlenden Wissens mit Interesse und Anteilnahme durch die letzten Jahre begleitet haben.
Ich will mich nicht für die Empathie von cis Personen bedanken müssen, ich will sie für uns voraussetzen.
Ich will nicht, dass unsere Existenz davon abhängt, ob Organisationen freundlicherweise genügend Fördergelder erhalten für das Einfordern unserer Rechte.
Die letzten Jahre habe ich nach meinem trans Coming Out versucht alles zu machen wie davor, nur zusätzlich meine soziale, medizinische und rechtliche Transition irgendwie nebenher zu planen und schrittweise diskriminierungsarm zu realisieren. Das war die Idee. Ich hatte vorher keine Vorstellung, wie häufig ich Ablehnung ausgeliefert sein würde und wie wund ich seelisch davon werden würde. Nichts hatte Zeit abzuheilen.
Letztes Jahr, in dunkler Zeit, begann ich wieder Gedichte zu schreiben. Gerne möchte ich im Anschluss an meine Rede ein paar davon vorlesen, mit dem Wissen:
Ich habe überlebt, zumindest bis jetzt.
Ich wünsche mir für uns, dass wir einander beschützen, so gut wir können. Denn darauf, dass cis Personen es tun werden, können wir uns selten verlassen.
Ich wünsche uns, dass wir einander beschützen, besonders dann, wenn wir erschwerte Bedingungen bei einander erkennen:
Sei es Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, die besonders hart die Frauen der trans Community trifft. Sei es Ableism, die Transfeindlichkeit gegenüber Menschen mit Behinderung, sei es Klassismus: also die trans Personen unter uns, die Armut erleben, die den Benachteiligungen in ihrer Schul- und Berufsausbildung ausgeliefert sind.
Wie jede Community reproduzieren auch wir Hierarchien und mindestens strukturelle Diskriminierung, die wir gelernt haben — gegen andere und gegen uns selbst. Für viele von uns gibt es keine safe spaces. Was wir schaffen können ist Anerkennung und möglichst viele Räume, wo wir Platz machen für diesen Unmut.
Heute ziehe ich meine Energie daraus, Hoffnung zu haben, für so viele, andere Menschen — für mehr Menschen als nur für mich.
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Mein erstes Mal
Besuch bekommen
In einer Psychiatrie
Verhungert freute ich mich
Eure Karte an mich
„Hurra ein Mädchen“
Ihr schenktet mir ironisch invertierte rosa Blumen
Und ich lachte noch aus vollem Halse
An meinen Zähnen klebt ein Rest
Dieses gefressenen Lippenstifts.
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Vulkanhaare
Widerhaken sich unter
Jeden Tag
Ein Zettel nur mit meinem Namen
Er will nicht mehr zurück
In meine Hosentasche
Drückt
An ein Strickmuster
Altherrengrau
Zwei Finger überprüften Rauheit
Was immer du auch suchtest
Du fandest einen Bruder.
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So viele Schriften
Übers Warten
Manchmal will ich bloß so lange winterschlafen
Bis eine Welt
Die Einerkenntnis
Aus letzter Furche ihres Eisschranks
Findet
Sie eigenständig in der Mikrowelle
Taut
Mich weckt,
Mir meinen Testobart
Schon glaubt,
Bevor er wuchs
Während wir aller
Schmetterlinge Schlüpfungen
bestaunen
willkommenheißen
fliegen lassen.
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Dankeschön.
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